Aggressionsverhalten bei Hunden ist ein vielschichtiges Thema, das oft missverstanden wird. Bevor eine genaue Analyse des Aggressionsgrundes erfolgen kann, muss zunächst sichergestellt werden, dass es sich tatsächlich um Aggression handelt. Verschiedene andere Verhaltensweisen können ähnlich aussehen, sind aber inhaltlich nicht dasselbe. Dazu gehören:

– Jagdverhalten
– Spielverhalten
– Stressbedingte Übersprungshandlungen

Viele Hundebesitzer setzen bestimmte Verhaltensweisen vorschnell mit Aggression gleich, was jedoch fachlich nicht korrekt ist. Erst durch eine genaue Beobachtung lässt sich feststellen, ob das Verhalten tatsächlich auf Aggression beruht oder ob eine andere Motivation dahintersteckt.

Jagdverhalten – Kein aggressives Verhalten im eigentlichen Sinne

Ein häufiger Irrtum ist die Verwechslung von Jagdverhalten mit Aggression. Jagdverhalten gehört zum Funktionskreis der Nahrungsbeschaffung und dient nicht der sozialen Kommunikation, wie es bei aggressivem Verhalten der Fall ist.

Besonders problematisch wird dieses Verhalten, wenn es sich auf Menschen, andere Hunde oder Fahrzeuge überträgt. Manche Hunde zeigen fehlgeleitetes Jagdverhalten und reagieren auf rennende Kinder, Fahrradfahrer oder kleinere Hunde. In solchen Fällen ist es wichtig, durch gezieltes Training und Management das Verhalten in kontrollierte Bahnen zu lenken.

Ein eindeutiges Merkmal für Jagdverhalten ist der fehlende kommunikative Bezug zur Umwelt: Während ein aggressiver Hund auf die Reaktion seines Gegenübers achtet, ist ein jagender Hund ausschließlich auf die Verfolgung der „Beute“ fokussiert.

Spielverhalten – Wenn Aggression spielerisch aussieht

Hunde nutzen im Spiel Elemente aus verschiedenen Verhaltenskreisen, darunter auch aus dem Bereich der Aggression. Daher kann spielerische Aggression leicht missverstanden werden. (Achtung: auch ein Spiel kann kippen!)

Merkmale von echtem Spielverhalten:

  • Entspannte Stimmung
  • Schnelle, unvorhersehbare Wechsel der Spielmuster
  • Übertriebene Gesten (Bewegungsluxus)
  • Spielsignale wie Spielgesicht oder Vorderkörpertiefstellung
  • Hohes, auffälliges Bellen
  • Handicap-Verhalten (bewusstes Nachgeben eines stärkeren Spielpartners)

Welpen und Junghunde zeigen spielerische Aggression, um Beißhemmung und soziale Grenzen zu lernen. Falls ein Hund im Spiel übermäßig grob wird, sollte das Spiel beendet werden und das Verhalten darf korrigiert werden.

Stress und Übersprungsverhalten

Hunde können aufgrund von Stress Verhaltensweisen zeigen, die aggressiv wirken, jedoch eine andere Ursache haben. Diese sogenannten Übersprungshandlungen entstehen, wenn der Hund in einer für ihn unangenehmen Situation keine passende Strategie findet.

Typische Stressreaktionen:

  • Hochspringen und Beißen in Kleidung oder Arme des Besitzers
  • Lautes Vokalisieren (Bellen, Winseln)
  • Unkontrolliertes Verhalten ohne klaren Bezug zur Umgebung

Da das Verhalten nicht kommunikativ gemeint ist, sondern dem Stressabbau dient, sollte in solchen Fällen die Ursache des Stresses identifiziert und reduziert werden. Wird die stressauslösende Situation nicht entschärft, kann sich das Verhalten verfestigen und für Hund sowie Halter zunehmend belastend werden.

Warum zeigen Hunde Aggression?

Aggressives Verhalten dient zunächst ganz grob gesagt der Distanzvergrößerung.
Dabei gibt es verschiedene Ursachen, die von Angst über Frustration bis hin zu Schutzverhalten reichen. Wichtig ist: die individuelle Persönlichkeit, die Genetik, gemachte Erfahrungen und das Umfeld spielen hier eine entscheidende Rolle.

Lass uns einen Blick auf einige Aggressionsformen werfen:

1. Selbstschutzaggression

Diese Art der Aggression ist furcht- oder angstmotiviert. Der Hund fühlt sich bedroht und sieht keine andere Möglichkeit, als sich zu verteidigen.
Angstbasierte Aggression: Hunde, die unter Angst leiden, frieren oft ein, zeigen kein Erkundungsverhalten und können sich nicht lösen oder fressen. Wenn sie sich in die Enge getrieben fühlen, können sie plötzlich aggressiv reagieren.
Furchtbasierte Aggression: Hier gibt es einen konkreten Auslöser. Der Hund kann nicht ausweichen und entscheidet sich daher für Angriff oder defensive Drohungen.

Selbstschutzaggression kann gegenüber Menschen und Artgenossen auftreten und sollte nicht unterschätzt werden. Gerade Panikreaktionen können gefährlich werden, wenn der Hund keinen Ausweg mehr sieht.

2. Statusbedingte Aggression

Früher als „Dominanzaggression“ bezeichnet (ein Begriff, der mittlerweile überholt ist), beschreibt diese Form der Aggression Konflikte, die zur Klärung sozialer Strukturen genutzt werden.
💡 Ein Hund kann beispielsweise testen, wie weit er gehen kann, indem er bestimmte Grenzen überschreitet oder versucht, seine eigenen Rechte innerhalb der Gruppe zu erweitern.

Besonders innerhalb eines Haushalts oder bei Mehrhundehaltung kann es zu dieser Form der Aggression kommen. Aber auch gegenüber fremden Hunden kann ein Hund dieses Verhalten zeigen, wenn er eine neue Beziehung klären möchte.

3. Ressourcenverteidigung

Viele Hundebesitzer haben schon erlebt, dass ihr Hund sein Futter, einen Knochen oder ein Spielzeug verteidigt. Doch das ist zunächst einmal ein natürliches Verhalten.
– Die Wertigkeit einer Ressource ist dabei individuell unterschiedlich:
– Ist eine Ressource selten, steigt ihr Wert für den Hund.
– Der eigene Bedarf bestimmt ebenfalls, wie stark die Verteidigung ausfällt.
– Neuheit spielt eine Rolle – neue Spielzeuge werden oft intensiver verteidigt als altbekannte.

Konflikte um Ressourcen treten oft in Mehrhundehaltung auf, aber auch gegenüber Menschen, wenn ein Hund schlechte Erfahrungen gemacht hat oder ihm oft Dinge weggenommen wurden.

4. Sozial-motivierte Aggression

Hunde können nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Sozialpartner verteidigen. Das kann der Besitzer sein, ein Artgenosse oder sogar ein anderes Tier im Haushalt.
Bestimmte Rassen wurden gezielt für den Schutz gezüchtet (z. B. Malinois, Rottweiler, Deutsche Schäferhunde) und zeigen dieses Verhalten oft ausgeprägter als andere.

Hier ist es wichtig, als Halter eine klare Führung zu übernehmen, um den Hund nicht in eine selbstständige Verantwortung zu bringen, die ihn überfordert.

5. Territorialverhalten

Ein Hund verteidigt nicht nur sein Zuhause, sondern oft auch Auto, Garten oder sogar bestimmte Spazierwege. Diese tief verankerte Verhaltensweise dient dazu, Eindringlinge fernzuhalten und Ressourcen zu sichern. Ein Problem entsteht jedoch, wenn der Hund nicht zwischen echten Bedrohungen und normalen Besuchern unterscheiden kann.

6. Sexuell-motivierte Aggression

Diese Form der Aggression ist hormonell bedingt und tritt meist bei unkastrierten Rüden gegenüber anderen intakten Rüden auf – insbesondere in Anwesenheit einer läufigen Hündin.
Auch Hündinnen können in der hormonell aktiven Phase aggressiv auf gleichgeschlechtliche Artgenossen reagieren.

7. Frustrationsbedingte Aggression

Kann ein Hund nicht das tun, was er möchte (z. B. an einen anderen Hund herankommen, ein Objekt erreichen), kann Frustration entstehen. Besonders häufig tritt das bei Hunden auf, die an der Leine aggressiv reagieren oder wenn sie im Training zu stark unter Druck gesetzt werden.

8. Umgerichtete Aggression

Hierbei richtet sich die Aggression gegen ein anderes Ziel als den eigentlichen Auslöser.
💢 Beispiel: Ein Hund sieht einen Artgenossen, den er nicht leiden kann, ist aber angeleint. Da er diesen nicht erreichen kann, dreht er sich um und schnappt nach seinem Besitzer.

9. Umadressierte Aggression

Ein Hund wird von einem stärkeren Hund gemaßregelt, kann sich aber nicht wehren – stattdessen sucht er sich ein leichteres Ziel und leitet die Aggression an einen rangniedrigeren Hund weiter.

Aggression ist nicht gleich Aggression. Es gibt unterschiedliche Formen mit jeweils eigenen Ursachen, Ausdrucksweisen und Konsequenzen. Die folgende Übersicht beschreibt die verschiedenen Aggressionsformen und ihre Merkmale, um ein besseres Verständnis für die Mechanismen dieses Verhaltens zu ermöglichen. 

Hast du Fragen oder zeigt dein Hund vielleicht Verhaltensweisen, die du nicht einschätzen kannst? Dann melde dich gerne bei mir und wir schauen uns euren individuellen Weg gemeinsam an!